Dieser Blick! Die Frau im Aquarellbildnis schaut uns mit ihren großen, kugelrunden Augen direkt an – und doch sind diese Augen so dunkel, dass wir ihren Blick kaum fassen können.
Bei seinem Porträt der damals 48jährigen Rosa Schapire (1874–1954) verzichtete Franz Radziwill darauf, sie als schöne Frau zu inszenieren oder über weitere Bildgegenstände von ihren wichtigsten Eigenschaften zu erzählen. Stattdessen präsentiert er uns eine ernste Frau mit besonderem Blick. Starke Hell-Dunkel-Kontraste bei Seitenlicht modellieren Schapires Gesicht geradezu heraus, die dunklen Linien betonen alles Vertikale und doch endet alles bei ihren eindringlichen, aber unzugänglichen Augen.
Rosa Schapire, 1922/25, Aquarell, Tusche, Bleistift
Das kontrastreiche Porträt einer Frau mit besonderem Blick – es passt zur Rosa Schapire. 1904 war sie als eine der ersten Frauen in Kunstgeschichte promoviert und hatte sich seither als meinungsstarke Kunsthistorikerin zu einer Vorkämpferin für die Moderne in der Hamburger Kulturszene entwickelt. Mit Vorträgen, Beiträgen und als Sammlerin unterstützte sie früh die expressionistische Künstlervereinigung „Die Brücke“ und verfasste als enge Freundin von Karl-Schmidt-Rottluff das Verzeichnis seiner Grafik. Franz Radziwill lernte sie wohl Mitte 1920 kennen. Ein Jahr später schrieb Schapire den ersten Artikel, der sein Werk und seine Person würdigte, und veranstaltete eine kleine Aquarell-Ausstellung in ihrer Wohnung. 1924 trennten sich ihre Wege langsam. Aber sein Bildnis hält seine Sicht auf diese legendäre Kunsthistorikerin fest.
Dieses kleine Aquarell findet bei der öffentlichen Führung am So., 4. September 2022, um 11:30 durch die Ausstellung „Familie. Freunde. Fremde“ besondere Beachtung.
Die Teilnahme kostet 9 Euro, Anmeldungen nimmt das Büro unter 04451/2777 oder info@radziwill.de entgegen.